Der Blick richtet sich dieser Tage allenthalben auf Grafiken, Schaubilder und mehr oder weniger schlaue Theorien. Die einen rufen „Maß und Mitte“ aus, um die Verbreitung einzudämmen und Ansteckungskurven zu strecken. Andere meinen, das reiche nicht aus, nur noch stärkere Maßnahmen mit Freiheit reduzierender Wirkung seien angesagt. Ich meine, dass die Vernunft es uns gebietet, jeden nicht lebenswichtigen Kontakt zu vermeiden. Dazu: Händewaschen. Denn das Coronavirus wird Ihr Leben langfristig verändern. Punkt. Damit ist alles gesagt.
Das Coronavirus bringt als wesentliche Herausforderung die lange Inkubationszeit von 14 Tagen mit. Was bedeutet, dass niemand sicher wissen kann, ob er nicht doch als Bazillenmutterschiff dient. Soziale Distanzierung ist der Fachbegriff für die entsprechende Maßnahme. In Verbindung mit einfachen hygienischen Verhaltensweisen wie Händewaschen können wir die Verbreitungskurve abflachen. Nur darum geht es.
Exponentielles Wachstum
[Anmerkung: Für alle, die von Zahlen bereits die Nase gestrichen voll haben: Den nächsten Absatz einfach überspringen. 😉 ]
Wir haben es hier mit einer exponentiellen Entwicklung zu tun. Damit Sie ein Gefühl für das ungeheure Verbreitungspotential bekommen, diese kurze Rechnung: Zwei Menschen treffen sich = 2 potentielle Virus-Überträger. Diese zwei treffen wiederum jeweils einen anderen Menschen = 4 potentielle Überträger. Diese 4 treffen wieder jeweils einen anderen Menschen = 16 potentielle Überträger. Das geht so weiter: 16 x 16 = 256, 256 x 256 = 65.356, 65.356 x 65.356 = 4.294.967.296. Rasante Geschwindigkeit. Was aber eben auch bedeutet, dass jeder gleich zu Beginn vermiedene Kontakt die Exponentialkurve erheblich abflacht.
Exponentielles Wachstum haben wir bereits in der Vergangenheit kennengelernt. Erinnern wir uns an die Anfänge der Handys zurück. Als fast jeder noch sagte: „Wer braucht schon ein Handy, wir haben doch ein Telefon.“ Kaum jemand kannte einen anderen, der oder die ein Handy besaß. Wie gesagt: Wozu auch? Einige Monate später kannten wir dann doch ein paar Personen, die so ein mobiles Telefon mit sich herum trugen. Die uns auch erklärten, warum sie das taten. So teuer wie die Geräte und Gebühren damals noch waren, hatten sie meist auch triftige Gründe. Wiederum etwas später habe wir schon nicht besonderes mehr im Handy gesehen und recht bald darauf hatte es quasi jeder. Bei der Umstellung von Handy auf Smartphone hat sich das Prinzip noch einmal wiederholt, nur noch schneller.
Wie das Abflachen im Idealfall funktioniert, zeigt dieses Bild.
Bei dem Beispiel mit den Handys sind diese etwas, was wir bekommen möchten und worum wir uns aktiv bemühen. Das Corona-Virus ist davon das Gegenteil: Wir wollen es nicht. Dieses Mal müssen wir aktiv passiv werden. Auch eine neue Erfahrung.
Warum wir jetzt aktiv passiv werden müssen
Der limitierende Faktor bei der Behandlung von heftigen Krankheitsverläufen ist die Anzahl der für Intensivbeatmungen ausgerüsteten Krankenhausplätze. Mir ist dazu die Zahl von 28.000 Beatmungsplätzen in Deutschland bekannt. Was für nicht einmal ein Tausendstel der Risikogruppe in Deutschland ausreichen würde. Hinzu kommt, dass jeder Beatmungsplatz angesichts der bisher bekannten Krankheitsverläufe für bis zu eine Woche von einer erkrankten Person belegt werden würde. Eine verschwindend geringe Zahl in Relation zu den vom Robert-Koch-Institut herausgegebenen Prognosen. Außerdem werden die anderen schwere Erkrankungen in Krisenzeiten nicht weniger, die Blinddarmentzündung macht nicht Urlaub nur weil Corona erscheint.
Wenn wir nun überschlägig rechnen, dass bis Ende August ca. 60% der Einwohner Deutschlands mit dem Coronavirus infiziert sein könnten und nach Aussage des Robert-Koch-Instituts der Krankheitsverlauf bei einem von fünf Infizierten heftig sein wird, ahnen Sie, warum das Abflachen der Verlaufskurve so wesentlich ist. Denn in absoluten Zahlen sprechen wir von 48,9 Mio. Infizierten und 9,78 Mio. heftigen Krankheitsverläufen bis Ende August diesen Jahres.
Der Mensch – ein vernunftbegabtes Wesen?
Diese mit einigen Ungenauigkeiten behaftete mathematische Betrachtung ist nicht jedem von uns eingängig – das konnte ich vorgestern live erfahren. Denn ich war mit meiner Hündin auf dem allabendlichen Gang als mir zwei feierwilligen Menschen im geschätzten Alter von ungefähr dreißig Jahren entgegenkamen. Sie fragten mich, ob ich Ihnen den Weg zu einem der umliegenden Clubs beschreiben könne. Was ich getan habe. Und mich doch fragte, ob Feiern im Club gerade das Richtige sei. Nun bin ich ein großer Anhänger freier Entscheidungen. Jedoch beantwortete diese kleine Begegnung für mich die Frage nach der Notwendigkeit staatlicher Reglementierungsmöglichkeit. Wir sind zwar als Menschen vernunftbegabte Wesen, aber eine Begabung allein ist noch keine Garantie für ihre Nutzung.
Solidarität und Hilfe: ja, Unvernunft: nein
Die große Welle der Hilfsbereitschaft, die derzeit durch die sozialen Medien schwappt, zeigt, dass Solidarität und Miteinander nicht nur Worthülsen sind. Viele Angebote von Einkaufen bis Gassigehen werden offeriert und es zeigt, dass die Menschen ein Herz haben. Doch bei aller Liebe: Es ist ein Bärendienst, wenn Kinder statt in der KiTa nun privat zusammengesteckt oder, schlimmer noch, zu Oma und Opa gebracht werden. Und Nepper, Schlepper und Bauernfänger werden leider auch nicht bevorzugt ausgerottet. Kennen Sie den Nachbarn, der Ihnen Hilfe anbietet? Lassen jedenfalls nicht jeden in Ihre Wohnung.
Wir wissen nicht, wer wen vor 10, 12, 14 Tagen getroffen hat. Wir wissen nicht, ob wir jemanden anstecken, obwohl wir uns gerade topfit fühlen. Das ist ja das perfide: Wir können uns angesteckt haben, sind bisher ohne jegliches Symptom und übertragen es unwissendlich trotzdem.
Darum: Einkäufe bitte nur vor die Tür stellen. Zum Dank keine Umarmung oder Händedruck. Nicht im Überschwang der Gefühle den Verstand ausschalten.
Soziale Distanzierung. Individuelle Hygienemaßnahmen. Jetzt. Schnell. Alternativlos. Sie ahnen ja nun, wie das Coronavirus auch Ihr Leben langfristig verändern wird.
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