Annegret Kramp-Karrenbauer und die CDU reagieren mit einem 11-seitigen PDF auf das berühmte Rezo-Video und das Europaparlament will hinter verschlossenen Türen seine neuen Ämter besetzen – natürlich nur mit den Spitzenkandidaten, versteht sich. Spannende Wochen liegen hinter uns und die nächsten dürften allem Anschein nach auch so ihre Kämpfe mit sich bringen. Aber auch Überraschungen?
Ganz gleich, was Sie und ich vom Ausgang der Europawahl 2019 halten, eines ist in meinen Augen schon jetzt klar: Nicht nur Unternehmen kämpfen derzeit mit alten Reflexen und starren Strukturen. Nein, auch unsere Staats- und Regierungschefs sind davor nicht gefeit.
Im stillen Kämmerlein
Denn in der EU scheint es sich wie in vielen Unternehmen, die meine Frau und ich beraten, zu gestalten: Das Management will eine neue Software etablieren oder eine neue Produktionslinie einrichten. Egal, um welche Neuerung es geht: Ein Gremium setzt sich hinter verschlossenen Türen zusammen, mauschelt vor sich hin – womöglich gar 8 Monate –, bis eines schönen Tages der Zeitpunkt der großen Verkündung gekommen ist: „Liebe Mitarbeiter, ab jetzt geht’s so … Wir haben diese neue Software für das Vertriebssystem ausgewählt – das benutzt ihr ab jetzt.“
Wie sieht die Folge meist aus? Genau, die Neuerung scheitert. Garantiert.
Warum? Weil das Unternehmen keinen Partizipationsprozess initiiert hat. Weil besagtes Gremium niemanden beteiligt hat, der mit der alten Software gearbeitet hat und/oder mit der neuen Software wird arbeiten müssen.
Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich möchte Ihnen an dieser Stelle keine Predigt halten im Sinne des allzu gern propagierten „Wir müssen alle mitnehmen.“ Nein, Partizipation bedeutet für mich, gleich zusammen losgehen, statt jeden mitzunehmen, nachdem umfassende Entscheidungen bereits an höherer Stelle getroffen sind. Und damit diese alten Muster und Systeme zu entwurzeln.
Und jetzt alle zusammen
Deshalb lautet die erste Frage, die ich in einem Unternehmen stelle, das meine Beratung in Anspruch nimmt: „Was braucht ihr jetzt? Wie können wir Transparenz schaffen und dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter einbringen möchten?“ Wir kreieren also gemeinsam im Unternehmen einen Raum, in dem eine breite Diskussion möglich ist, sich jeder einbringen darf und soll – durch Fragen, Anmerkungen, Wünsche, Kritik.
Doch auch diese Partizipation funktioniert nur, wenn Sie den Menschen auf dem Kanal begegnen, auf dem Sie sie auch erreichen können. Denn sonst haben Sie nur für Pro-forma-Partizipation gesorgt: Sie tun nach außen hin so, als würden Sie die Menschen beteiligen, agieren aber weiter im Sinne des alten Systems. Und diese Pro-forma-Partizipation funktioniert genauso wenig wie gar keine Partizipation.
Aus Alt mach Neu
Und wie gehen EU und CDU damit um? Ja, grundsätzlich hat die CDU das mit ihrer Reaktion schon ganz gut gemacht – sie hat Sachliches aufgegriffen und versucht, die Umstände zu erklären und zu vermitteln. Aber ganz ehrlich: Dass sie dieses Dokument nicht noch per Fax geschickt hat, das gleicht nahezu einem Wunder. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln, die uns weltweit durch das Internet zur Verfügung stehen, wäre es schließlich ein Leichtes, europäische Bürger durch Fragen in die Auswahl der Funktionsträger einzubinden. Und die hohe Wahlbeteiligung sowie das Engagement, das im Vorfeld der Wahl nun wirklich bemerkenswerte Dimensionen angenommen hat, zu würdigen und belohnen.
Hand aufs Herz: YouTube ist schon lange kein „neues“ Medium mehr. Doch wer mit den entsprechenden Kanälen oder der Umsetzung noch nicht so recht klarkommt, für den ist es durchaus keine Schande, den Rat und die Hilfe eines Beraters in Anspruch zu nehmen. Gleiches gilt auch, wenn sich eine Führungskraft oder ein Unternehmer überwiegend mit Menschen umgibt, die in einer ähnlichen überholten Geisteshaltung unterwegs sind – so wie Frau Kramp-Karrenbauer dies offensichtlich derzeit tut. Denn das Potenzial, mit der verändernden Welt zu wachsen, hat jeder von uns.
PS: Liebe CDU, mehr Berufspolitiker zu haben bedeutet auch, Stimmungsbilder über andere Kanäle als früher einzubinden. Menschen wie ich würden sich gerne einbringen, aber eben nicht in der althergebrachten Form 😉
PPS: Liebes Europaparlament, liebe Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer, falls ihr euch wirklich fragt, was an der EU erneuerungsbedürftig ist: Das Wahlprocedere suggeriert mir, dass mit der Wahl einer Partei deren Spitzenkandidaten in Funktion kommen. Nun wollt ihr nach der Wahl das Procedere ändern. Das ist sinnbildlich für das öffentliche Bild der EU als Ganzes – es ist einfach intransparent! Als Wähler will ich vorher wissen, was und wen ich mit meiner Stimme wähle – das führt ihr gerade ad absurdum!